Die stilvolle Alternative zur Hightechjacke

Es ist jedes Jahr dasselbe Schauspiel: Sobald es auch nur ein wenig herbstlich oder das Aprilwetter gewohnt nass wird, sind sie da: Multifunktionsjacken aus Hightechmaterial. Die Temperaturen brauchen gar nicht sehr in die Nähe der Nullmarke zu sinken, Damen wie Herren hüllen sich entweder in leuchtend bunte oder trübschwarze Jacken von Herstellern mit martialischen Namen (Wolfshaut, Nordgesicht oder Weltenbummler), die nahelegen, daß der Träger nicht auf dem Weg zur nächsten U-Bahnstation ist, sondern sich auf einer kräftezehrenden Expedition durch ewiges Eis befindet. Da wundert sich die Hauptstädterin, denn wer legt in der Stadt mehr als 500 Meter zu Fuß zurück, den entspannten Spaziergang am Sonntagnachmittag natürlich ausgenommen? Schon deshalb, und um zigtausende Fasern aus Mikroplastik bei jedem Waschgang zu vermeiden, entschied ich mich für eine Cabanjacke aus Wolle als stilvolle Alternative.

Nicht nur für Seebären: die Cabanjacke
Letzten Herbst begann ich eine Cabanjacke für meine Tochter zu nähen. Inzwischen ist die Jacke endlich fertiggestellt, jedoch Frühling und der extrem heiße Sommer ließen meine Lust über eine warme Wolljacke zu schreiben, rasch erkalten. Doch nun wird es langsam aber sicher herbstlich, so daß es an der Zeit ist, von der Cabanjacke zu berichten:
Regelmäßig wird die Mode maritim, in Wellen sozusagen (das Wortspiel sei erlaubt), auch 2018 wurden wir damit gesegnet. Ich mag das ja sehr, auch wenn es leicht Uniformcharakter bekommt, aber maritimer Flair duftet nach Fernweh und Sommerfrische an der Ostsee. Auch die Septemberausgabe der BurdaStyle (09/2018) hat wieder einen Matrosenmantel im Angebot, diesmal sogar für den Herren. Überhaupt ist die für alles Maritime stehende Farbkombination, Dunkelblau – Weiß – Rot, wirklich schön. Und jeder, der nicht genug Seefahrerpomp bekommen kann, nimmt dazu noch Knöpfe aus Messing oder Gold.

Ein Kleidungsstück, das zur Seefahrt wie das Salz auf die Pommes gehört, ist die Cabanjacke, Kulani, Lotsen- oder Matrosenjacke. Es gibt noch eine Reihe anderer Bezeichnungen, wie z.B. Caban, Bergner-Kulani, Peacoat, Pijjakker – sie alle aber meinen den selben Mantel.
Die Cabanjacke ist immer relativ kurz und gewährleistet so den Seeleuten die Bewegungsfreiheit, um schnell in die Wanten hinaufklettern und die Segel setzen zu können. Des Weiteren hat sie praktische Paspeltaschen, meist in Brusthöhe, einen großen Kragen und breite Mantelaufschläge, die bei geschlossenem Mantel doppelt liegen und zwei Reihen großer runder Knöpfe.

Dass sich nicht wirklich viel and der Mantelform verändert hat, zeigte mir das Schaufenster eines Seemannausstatters in Hamburg, bei dem ich zufällig vorbei kam. Dort war neben gestreiftem Fischerhemd und dem ewig gleichbleibenden Ostfriesennerz ein Lotsenmantel aus „englischem Marinetuch“ zu bewundern.

Und ach ja, blau ist der Seemannsmantel übrigens erst seit dem 18. Jahrhundert – das aber ist eine ganz andere Geschichte, mehr davon ein andermal.
Als ich mich an den Schnitt machte, kamen Fragen auf:
Wieso kennen eigentlich alle diesen mit Freiheit und Seefahrt assoziierten Mantelschnitt?
Wieso ist er international mit der Marine verbunden?
Wieso ist er meistens blau?
Und was sind seine charakteristischen Merkmale?
Eine kleine Recherche im Stofflexikon ergab: Er besteht immer aus Wolle, ursprünglich aus Melton, einem extrem robusten und winddichten dicken Walkstoff, der Wind und Wetter trotzen kann. Melton hatte ich noch nicht gehört und so informierte das Stofflexikon: Melton (engl. Stadt), Wollstoff aus Kammgarnkette und Streichgarnschuss in Leinwand- oder Köperbindung mit Meltonappretur. Auf beiden Seiten wird durch Walken eine verfilzte Oberfläche erzielt, das wilde Haar wird durch Scheren entfernt und die Decke mit Dekatur fixiert.
Aah! „Das wilde Haar“ – was für ein schöner Ausdruck. Handwerk steckt so oft voller Poesie.
Die Cabanjacke #119 aus der Burda Style 10/2016
In der Burda Style 10/2016 gefiel mir gleich die Fotostrecke mit den sehr maritim angehauchten Fotos mit weißen Matrosenhosen und einem dunkelblauen Matrosenmantel mit anknüpfbarem Plüschkragen aus Fellimitat. Allein die vielleicht zu große Schwierigkeiten verheißende Randbemerkung Masterpiece schreckte mich ab, und so ließ ich das Vorhaben erst einmal ruhen. Das war vor mehr als einem Jahr und vor etlichen anderen selbst genähten Kleidungsstücken. Wenn ich sie alle zusammen zähle, waren es zwei Hosen für meine Schwester, ein Herrenhemd für den Liebsten, eine Sommerbluse und ein Samtshirt für meine Tochter, drei Sommerkleider und ein Wollrock – diverse gescheiterte Schnittanpassungen für Kleider für mich sowie mein Capejäckchen.

Mir hatte die Arbeit mit Wollstoff so großen Spaß bereitet, daß ich mir vornahm, bald mal einen Mantel oder eine Winterjacke zu nähen. Und außerdem gibt es da diesen mir selbst auferlegten Vorsatz, beim nächsten Nähprojekt auch immer etwas dazuzulernen, wie eine neue Technik, ein neuer bislang nicht angewandter Kniff, und so kam mir dieses „Masterpiece“ gerade recht.
Als dann am Herbstbeginn der nahegelegene Karstadt Mantelstoffe auch noch zu herabgesetzten Preisen verkaufte, und ich so zu einem weichen dunkelblauen Wollstoff kam, war es beschlossene Sache den Matrosenmantel #119 aus der BurdaStyle zu nähen. Selbstgenähte Cabanjacken finden sich auch im Netz, z.B. hier oder hier oder hier. Eine jede ist anders und alle sind sie toll!
Merkmale des Schnittes
Was gefällt mir neben dem maritimen Touch gut an dem Mantelschnitt? Das sind die schräg eingesetzten und spitz zulaufenden Paspeltaschen, die Ärmelaufschläge, der schicke Kragen mit den großen Mantelaufschlägen sowie die Gestaltung der Seitenteile.

Ein schönes Detail ist, daß es nämlich nicht eine an der Seite liegende Naht gibt, sondern gleich zwei, nicht mittig angelegte Nähte.


Den plüschigen Fellkragen ließ ich lieber weg, zu sehr hätte er den Gesamteindruck der gesamten Kragenpartie gestört und auch nicht zum maritimen Charakter der Jacke gepasst.
Klippen und Untiefen der Anleitung
Brav hielt ich mich an die Koordinaten der Anleitung. Leider habe ich tatsächlich nur die Schnittteile mit Einlage (H410) verstärkt, wie in der Anleitung angegeben. Beim nächsten Mal, bei einem Stoff ähnlicher Dichte, werde ich sämtliche Teile verstärken. Ein etwas steiferer Stoff würde dem Charakter einer solchen Jacke auch eher entsprechen. Die Anleitung war wie immer bei Burda.

Besondere Probleme machten mir wieder die Paspeltaschen, die dieses Mal auch noch spitz zulaufen sollten. Da ich ein ähnliches Problem auch von meiner Capejacke (interner Link) hatte, dort lange haderte, bis ich zufällig herausfand, daß es eine vorzügliche Anleitung in einem anderen Burda-Heft gibt, suchte ich auch für die nun zu nähenden Paspeltaschen und wurde fündig – allerdings leider wieder erst nachdem ich alles schon fertig und komplizierter als nötig – genäht hatte. Falls jemand mal eine derartige Anleitung braucht: Im Nähjournal der BurdaStyle 10/2017 steht alles sehr schön und vorbildlich erklärt.
Größten Respekt hatte ich vor dem Reverskragen, und scheute mich vor dem Einscheiden in den Oberstoff, aber da war die Beschreibung der Arbeitsschritte zu meiner Freude mal völlig logisch und eindeutig. Es fügte sich eins zum anderen und Land war in Sicht.
Das Tüpfelchen auf dem i: Augenknopflöcher

Zum krönenden Abschluss entschied ich mich auch für handgenähte Augenknopflöcher, die sauber und sauber ausgeführt, einem Kleidungsstück noch den besonderen handwerklichen Schliff verleihen.

Als die Jacke fertig genäht war, hieß es also erst einmal wieder üben, üben, üben, denn in kontrastfarbenem Garn ausgeführt, muss jeder Stich exakt sitzen.
Hier die Vorbereitung an einem Ärmelriegel:

Und hier am vorderen Revers:

Ich staunte nicht schlecht, wieviele unterschiedliche Arten es gibt, Augenknopflöcher zu nähen. Davon berichte ich vielleicht ein anderes Mal.

Und da Knöpfe den Charakter eines Kleidungsstückes ganz wesentlich beeinflussen, hat es auch lange gedauert, bis sich die richtigen Knöpfe fanden, die ich schon vor Monaten bei uns auf Instagram zeigte. Wie sich später herausstellen sollte, waren es genau die Richtigen. Eines abends zeigte arte den Film „Die drei Tage des Condor“. Ich saß nach einem langen Tag einigermaßen ermattet auf dem Sofa, bis Robert Redford in einer Cabanjacke mit aufgestelltem Kragen und genau jenen Knöpfen auf der Bildfläche erschien.

Auf historischen Fotografien von Seeleuten, waren auch immer diese glänzend schwarzen Knöpfe mit Ankermotiv zu sehen. Die mussten es sein!

Tipps für die Caban #119 aus der BurdaStyle 10/2016
Inzwischen verstehe ich Anleitungen als das Minimum dessen, was gemacht werden sollte. Es ist ratsam dies immer im Hinterkopf zu behalten, denn einiges, was sich für einen besseren Tragekomfort empfiehlt, wird – so auch in der BurdaStyle – nie erwähnt.

Wie beispielsweise die Futterjacke mit einer Bewegungsfalte zu versehen.
Zusätzlich empfehle ich das Annähen der Nahtzugaben an den Oberstoff mit Hexenstichen, damit die Nahtzugaben schön flach liegen bleiben und keinen unbequemen Wulst bilden.

Das ist besonders bei dickeren Stoffen von Vorteil und man wird mit einem wesentlich komfortableren Sitz belohnt. Auch habe ich die vorderen Belege mit einfachen Fischgrätenstichen an den Oberstoff fixiert, wie auch die Futterjacke an die Belege genäht. Das ist nicht unbedingt nötig, das Ergebnis sieht nicht nur mehr nach gediegener Schneiderarbeit aus, die Nähte sind biegsamer, weshalb es sich besser anfühlt.
Schlussfazit
Die Gretchenfrage bei jedem Schnittmuster ist doch, ob er empfehlenswert ist oder ob man sich vorstellen könne, ihn noch einmal zu realisieren. Ein klares Ja!
L. von fabricandacuppa
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